Depeche Mode

Mit gerade einmal 32 Jahren hat der ukrainische Autor Serhij Zhadan bereits acht Lyrikbände und vier Prosabände vorgelegt und sich damit in seiner Heimat zum Superstar geschrieben. Nun ist sein erster Roman “Depeche Mode” auf Deutsch erschienen. Es geht um eine absurde Odyssee durch die postsozialistische Ukraine.

Wenn dieser schmale Mann in seiner Heimat Gedichte liest, sind Kneipen und Stadien überfüllt wie bei Popkonzerten. Mit Verzückung lauschen ihm die Massen. Dabei wirkt er mit seinem jungenhaften Gesicht, dem wippenden Pferdeschwanz und gestikulierenden Armen wie ein ewiger Student, der in melodiösem Rhythmus einen Seminarvortrag hält.

“Ich heiße Serhij Zhadan. Ich bin 33 Jahre alt. In der Ukraine sind zwölf Bücher von mir erschienen, die meisten davon Lyrikbände. Im letzten Jahr erschien mein Gedichtband ‘Die Geschichte der Kultur zu Anfang des Jahrhunderts’ auch in Deutschland. Jetzt folgt dort auch mein Roman ‘Depeche Mode’.”

Der 1974 in der ostukrainischen Industriestadt Luhansk geborene Zhadan zieht mit seinen Eltern schon bald ins größere und 300 Kilometer entfernte Charkiv. Hier studiert er Germanistik, hier promoviert er über den ukrainischen Futurismus, hier beginnt die vielleicht ungewöhnlichste Schriftstellerkarriere zu Anfang des 21. Jahrhunderts.

“Das erste Buch, das ich mit Freunden herausgab, trug den Titel ‘Samisdat’. Wir druckten es auf einer alten Druckmaschine, die gerade einmal 100 Seiten in der Woche schaffte. Wir schliefen neben diesem Ungeheuer, weil wir jedes Blatt Papier einzeln einlegen mussten.”

Das war Mitte der 90er Jahre, er war noch nicht einmal zwanzig und von Zuhause abgehauen. Ein Zuhause, um das er ein Geheimnis macht und nicht einmal seine Freunde wissen, ob er Geschwister hat oder welchen Beruf seine Eltern haben. Nur eines scheint sicher: In den Regalen seiner Kindheit trugen viele Buchrücken den Namen deutschsprachiger Autoren:

“Rilke und Celan sind für mich nicht nur deutschsprachige Schriftsteller, das ist für mich eine ziemlich intime Sache. Deutschland und Österreich sind für mich vor allem deshalb wichtig, weil die Bücher meiner Kindheit von dort stammten.”

Darüber, was ihn von zuhause forttrieb, schweigt er sich aus. Auch seine Gedichte geben keine Auskunft. Doch schon früh verraten seine Zeilen einen scharfen Verstand. In ihnen beschreibt Zhadan präzise und mit immer wieder überraschenden Metaphern das Lebensgefühl einer Generation, deren Welt mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion aus den Fugen geraten ist.

Sein Roman “Depeche Mode” baut dieser Welt ein liebevoll ironisches Denkmal. In ihm irren die drei Hauptfiguren, Dog Pawlov, Wasja Kommunist und als Ich-Erzähler das alter Ego von Zhadan selbst durch die hybride Szenerie der postsozialistischen Ukraine: Einer Welt, in der sich Industriebrachen in den Scheiben futuristischer Firmenzentralen spiegeln, neue “businesmeny” und alte Rotarmisten amerikanischen Erweckungspredigern lauschen und die Redakteure im Radio immer noch glauben, Depeche Mode nur spielen zu dürfen, wenn sie die Band als “irische Volksmusikgruppe” anmoderieren. Deren Musik ist der Sound dieses Buches, der Rhytmhus von Zhadans Sprache.

“1992, ich war gerade 17, da gründete ich mit Freunden eine Gruppe. Wir nannten uns ‘Die rote Fuhre’. Unser Zuhause war das Literaturmuseum, um das herum sich eine Art Punk-Kommune von Charkiver Verlierern zusammenfand. Ich schlief damals in diesem Museum und ich begann da auch zu schreiben. Aber ich habe das damals noch nicht als ernsthafte Tätigkeit betrachtet. Die Zeit damals war eher eine Schule des Überlebens, an die ich heute mit einer gewissen Sentimentalität zurückdenke.”

Die Jahre des Umbruchs formen Zhadan. Aus seinen Beobachtungen baut er sein Bild von der Welt, die ihm wie ein Experimentierfeld erscheint, wie ein Chemiebaukasten voll explosiver Stoffe. Das ist sein Thema. Immer wieder. Dem Roman “Depeche Mode” sind in seiner Heimat längst drei weitere gefolgt. Und das, obwohl er zuhause nur noch selten zum Schreiben kommt.

“Ich kann eigentlich nur noch schreiben, wenn ich im Ausland bin. Hier in Charkiv muss ich mich mit Dingen beschäftigen, die eigentlich Aufgabe der lokalen Kulturpolitiker wären. Ich organisiere Festivals, präsentiere andere Autoren.”

Zhadan kokettiert ein wenig mit seiner Situation, denn eigentlich mag er das Reisen. Das spürt, wer sich dem Rhythmus seiner Sprache überlässt, die aus seinen Erfahrungen, gesammelt zwischen Ost und West, ihre Kraft und Bildhaftigkeit schöpft.

“Eigentlich gefällt mir die These: Der Osten ist der Osten und der Westen ist der Westen und deshalb können beide nie aufeinander treffen. Der Wunsch, sämtliche Grenzen auszuradieren, führt zu einem Misch-Masch, in dem alles gleich ist und damit auch gleich langweilig.”

Das ist seine größte Angst: dass sich die Langeweile ins Leben und damit in seine Texte schleichen könnte. Eine Angst, die unbegründet ist, denn noch immer birst sein Kopf von Ideen. Ideen, die ein wenig sind wie die verrückten und abgefahrenen Geschichten, die er uns in seinen Gedichten wie in seiner Prosa in atemloser Spannung zu erzählen vermag. Die nächste wird er wohl schon bald in die Wirklichkeit umsetzen können.

“Ich glaube, dass wir heute wieder solche Kommunen brauchen wie damals, weil viele Menschen erst in solchen kreativen Gemeinschaften ihr Potential voll entfalten können. Wenn ich mit meiner Literatur die ersten 100.000 Dollar verdient habe, werde ich ein altes Pionierlager bei Charkiv kaufen und dort 200 Punks ansiedeln. Tagsüber werden sie nützliche Arbeit verrichten, zum Beispiel rote Rüben sammeln, und abends werden sie ‘Sex Pistols’ hören.”