Erster Runder Tisch zu Wien: Memorandum

Die wirtschaftliche Situation des Landes ist prekär. Die Energieversorgung in
der bevorstehenden kalten Jahreszeit erscheint gefährdet. Die Bewohner der von
militärischen Auseinandersetzungen betroffenen Gebiete sind in einer besonderen
Notlage. Ihre Versorgung mit Nahrungsmitteln und Brennstoffen ist besonders
schwierig.

Der Erste Runde Tisch zu Wien am 1. Oktober 2014 hat Lösungen diskutiert und
Vorschläge erarbeitet, die zu einer Beilegung der Krise in der Ukraine
beitragen und die Stabilität des Landes sichern helfen können.

1. These

Der Konflikt im Osten und Süden der Ukraine kann nicht militärisch gelöst
werden.

2 . These

Alle Seiten brauchen einen politischen Ausweg aus dem Konflikt, der in eine
dauerhafte und nachhaltige Lösung mündet. Diese Lösung muss für alle
vorteilhaft sein.

3 . These

Als erster Schritt ist die Waffenstillstandsvereinbarung von Minsk vom 5 .
September 2014 unter der Aufsicht der OSZE in vollem Umfang umzusetzen. Das
bedeutet, dass die territoriale Integrität und Souveränität der Ukraine von
Russland zu gewährleisten ist. Jedwede Unterstützung für eine Abspaltung der
Region von der Ukraine ist einzustellen. Gleichzeitig muss sich die ukrainische
Regierung entschieden gegen radikale Gruppen wenden, die gewaltsam gegen russischsprachige
und andere Teile der Bevölkerung vorgehen wollen. Die Grenze zwischen Russland
und der Ukraine ist uneingeschränkt zu garantieren.

Der grenzüberschreitende Transport von militärischem Gerät und Kämpfern ist zu
unterbinden. Die OSZE überwacht dieses Grenzregime. Ausländische Soldaten sind
aus der Ukraine abzuziehen. Illegalen bewaffneten Kämpfern, soweit sie sich
keiner Verbrechen schuldig gemacht haben, ist eine Amnestie zu gewähren.

4. These

Zur Stabilisierung der Ukraine und zum Wiederaufbau der Infrastruktur sind
gemeinsame Anstrengungen des Westens und Russlands erforderlich. Die Programme
aller Geberländer sind über gemeinsame Gremien zu koordinieren. Die Bedingungen
für Aufbaukredite sind abzugleichen. Russland erbringt adäquat gleiche Leistungen
und hat als Kreditgeber die gleichen Rechte wie die EU.

5. These

Weitere Maßnahmen zur Stabilisierung der Region sind voranzutreiben. Dazu zählt
beispielsweise eine Neubelebung des so genannten Meseberg‐Prozesses, der zwischen
Deutschland und Russland zur Lösung der Transnistrien‐Frage vereinbart wurde.

6. These

Die Ukraine benötigt für eine erfolgreiche wirtschaftliche Entwicklung eine
enge Zusammenarbeit mit beiden großen Wirtschaftsräumen – der EU und Russland.
Es ist positiv, dass die EU-Kommission dazu einen Abstimmungsprozess mit der
Eurasischen Wirtschaftskommission begonnen hat. Dieser Prozess könnten in
Gespräche zum Abbau der Handelsschranken zwischen EU und Eurasischer
Wirtschaftsunion münden.

7. These

Russland und der Ukraine sind gleichermaßen die Möglichkeit des visafreien
Verkehrs mit den Ländern der EU einzuräumen.

8. These

Der völkerrechtswidrige Zustand der Besetzung der Krim kann nur durch eine
Vereinbarung zwischen der Ukraine und Russland überwunden werden, die international
bestätigt und garantiert werden soll. Gegenstand einer solchen Vereinbarung
muss ein umfassender Grundrechtsschutz für alle auf der Krim lebenden Menschen
sein, einschließlich des Rechts auf Freizügigkeit für Bürger mit russischer und
mit ukrainischer Staatsangehörigkeit, Niederlassungsfreiheit und freier
unternehmerischer Bestätigung sowie ein umfassender Schutz von Investitionen
und privaten Eigentums. Der Status der russischen Militärbasis Sewastopol ist
festzustellen. Die uneingeschränkte Versorgung der Krim mit Energie und Wasser
von der Ukraine aus ist zu gewährleisten, einschließlich des Zugangs über die
bestehenden Straßenverbindungen.

9. These

Die Ukraine erneuert und bekräftigt den seit ihrer ersten Verfassung von 1996
fortgeschriebenen Grundsatz der militärischen Bündnisfreiheit. Russland
wiederum garantiert die Unverletzbarkeit der Grenzen der Ukraine unter
Berücksichtigung einer notwendigen konzertierten Sonderregelung für die Krim.
Das Recht der Ukraine auf Assoziierung mit der EU wird durch Russland
anerkannt. Es wird akzeptiert, dass sich die Ukraine mit der für eine
ausreichende Selbstverteidigung und Grenzsicherung notwendigen militärischen
Ausrüstung versorgt. Für militärische Aktivitäten beiderseits der russisch‐ukrainischen Grenze wird
ein Konsultationsmechanismus vereinbart.

10. These

Die durch die Ukraine verlaufenden Gas-Transit‐Pipelines sind in einer gemeinsamen
Anstrengung der Ukraine, der EU und Russlands zu modernisieren. Der Betrieb könnte durch ein trilaterales Konsortium
im Rahmen der Energiemarktregeln der EU erfolgen. Der Ende September in Berlin
von der EU vorgelegte Plan zur Lösung des Gaskonflikts muss rasch implementiert
werden. Dies wird aber nicht ohne eine stärkere finanzielle Unterstützung der
EU für die Ukraine möglich sein.

11. These

Zwischen Russland und der Ukraine bestehen Gemeinschaftsunternehmen. Diese
Unternehmen streben eine trilaterale Kooperation mit westlichen Unternehmen an,
um Know-how und Kapital zu akquirieren. Derartige Verflechtungen sind positiv
für die zukünftige wirtschaftliche Entwicklung der Ukraine und Russland; sie
sollten gefördert werden.

12. These

In einer neuen ukrainischen Verfassung werden Regelungen zur Übertragung von
Rechten auf die Regionen der Ukraine verankert. Die Verantwortlichkeit der
Regionen ist zu stärken, ein Mechanismus für eigene Steuereinnahmen zu
etablieren nebst Rechten im Bereich der Bildungs‐ und Kulturpolitik. Die russische Sprache
muss gemäß den in der EU bestehenden
Minderheitenrechten geschützt
und gefördert werden.

13. These

Die EU sollte den beschriebenen Friedens- und Verständigungsprozess durch eine
etappenweise Aufhebung der Sanktionen gegen Russland unterstützen, je nach
erreichtem Fortschritt. In gleicher Weise sollte Russland den
Verständigungsprozess durch die Rücknahme bestehender Handelsbeschränkungen
gegen die EU und seine Nachbarländer voranbringen.

14. These

Die Ukraine und Russland sollten feste Formate und Institutionen zur
Unterstützung des Aussöhnungsprozesses vereinbaren. Dazu könnte eine Kommission
für schwierige historische und politische Fragen, ein gemeinsames
Wirtschaftsforum, ein Jugendwerk und Plattformen für den Austausch der
Zivilgesellschaft und von Journalisten gehören.

15. These

Die Stabilisierung und Reformierung der Ukraine liegt im gemeinsamen Interesse
der EU und Russlands.

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Deutsch-Ukrainisches Forum e.V.

gez. Prof. Dr. Lindner (Vorsitzender), Karl-Georg Wellmann (stv. Vorsitzender)

Teilnehmer

· Jurij Bojko, stv. Premierminister a.D., Spitzenkandidat „Opposition Block”

· Elmar Brok, MdEP

· Dmitry Firtasch, Präsident der Ukr. Arbeitgebervereinigung (FEU)

· Victor Juschtschenko, Präsident der Ukraine a.D.

· Dr. Axel Kassegger, Abgeordneter Nationalrat, Vorsitzender der österreichisch-ukrainischen parlamentarischen Freundschaftsgruppe

· Vitalij Klitschko, Bürgermeister von Kiev

· Bernard-Henri Levy, franz. Journalist und Publizist

· Prof. Dr. Rainer Lindner, Vors. dt.-ukr. Forum

· Prof. Dr. Heinz Mayer, Dekan der rechtswiss. Fakultät der Universität Wien

· Dr. Jürgen Martens, Sächs. Staatsminister der Justiz und für Europa

· Prof. Dr. Georg Milbradt, Ministerpräsident a.D.

· Lord Richard Risby, House of Lords, Vors. britisch-ukr. Gesellschaft

· Prof. Dr. Rupert Scholz, Bundesminister a.D.

· Dr. Wolfgang Schüssel, Bundeskanzler a.D.

· Peer Steinbrück MdB, Bundesminister a.D.

· Marina Stavnijchuk, Beraterin von Präsident Poroschenko

· Andrij Struzgak, Vors. ukr. Verfassungsgericht a.D.

· Karl-Georg Wellmann MdB, Vors. dt.-ukr. Parlamentarier Gruppe

· John Whittingdale MP, Vors. Brit.-ukr. Friendship Group