Literarischer Superstar der Ukraine

Der 34-jährige Serhij Zhadan hat bereits acht Lyrikbände und mit “Anarchy in the UKR” seinen fünften Prosaband vorgelegt. Seine Lesungen sind überfüllt wie Popkonzerte. In seinen Texten reflektiert der Ukrainer das Leben seiner Generation in einer drastischen Sprache. Er war zu Gast beim Poesiefestival in Berlin.

Ein Club in Charkiv. Junge Dichter lesen zu Techno-Rythmen. Unter ihnen auch Serhij Zhadan. Wo er auftritt, sind Kulturzentren und Kneipen gefüllt wie bei Popkonzerten. Mit Verzückung lauschen die Massen dem schmalen Mann, der mit seinem jungenhaften Gesicht, dem wippenden Pferdeschwanz und gestikulierenden Armen wirkt wie ein ewiger Student.

Ich heiße Serhij Zhadan. In der Ukraine sind zwölf Bücher von mir erschienen, die meisten davon Lyrikbände.

Der 1974 in der ostukrainischen Industriestadt Luhansk geborene Zhadan zieht mit seinen Eltern schon bald ins größere und 300 Kilometer entfernte Charkiv. Hier studiert er Germanistik, hier beginnt seine Schriftstellerkarriere.

Das erste Buch, das ich mit Freunden herausgab, trug den Titel “Samisdat”. Wir druckten es auf einer alten Druckmaschine, die gerade einmal 100 Seiten in der Woche schaffte. Wir schliefen neben diesem Ungeheuer, weil wir jedes Blatt Papier einzeln einlegen mussten.

Das war Mitte der 90er Jahre, er war noch nicht einmal zwanzig und von zu Hause abgehauen. Ein Zuhause, um das er ein Geheimnis macht, und nicht einmal seine Freunde wissen, ob er Geschwister hat oder welchen Beruf seine Eltern haben. Darüber, was ihn von zu Hause forttrieb, schweigt er sich aus. Auch seine Gedichte geben keine Auskunft.

Dafür gibt er in seinem Buch “Anarchy in the UKR” um so mehr von sich preis. Nicht nur, dass der Titel Hinweis gibt auf einen Song der von Zhadan geschätzten Punk-Band Sex Pistols. Er nimmt uns auch mit auf die “fernen, von Kadavern und gebrauchten Kondomen gesäumten Landstraßen” seiner Heimat. Das sind die Bilder, die Zhadan mag, und mit denen er gern die eigene Seelenlandschaft beschreibt. Und damit auch jene der ersten postsowjetischen Generation der Ukraine.

Ich muss Ihnen sagen, dass wir uns nie befasst haben mit unseren sowjetischen Wurzeln. Mir gefällt diese Generation sehr, die man vielleicht sogar als erste antisowjetische Generation bezeichnen kann.

In den 80er Jahren, so erklärt er, lag das Sowjetreich bereits in Agonie. Der Punk habe damals nicht nur ihm die die Ideologie ersetzt, erklärt er augenzwinkernd.

1992, ich war gerade 17, da gründete ich mit Freunden eine Gruppe. Unser Zuhause war das Literaturmuseum, um das herum sich eine Art Punk-Kommune von Charkiver Verlierern zusammenfand. Ich schlief damals in diesem Museum und ich begann, da auch zu schreiben. Aber ich habe das damals noch nicht als ernsthafte Tätigkeit betrachtet. Die Zeit damals war eher eine Schule des Überlebens, an die ich heute mit einer gewissen Sentimentalität zurückdenke.

Zhadan beschreibt diese Zeit völlig unsentimental. Mit einer an den Punk erinnernden drastischen Sprache zaubert er nicht nur in seinen Romanen, sondern auch in seiner Lyrik melancholische Bilder einer andauernden Zeit-Reise. Verfall und Aufbruch, dass ist das, was Zhadan interessiert. Meine Bücher, sagt Zhadan, empfinde ich selbst als Porträts meiner Generation. Und weder die Ukraine noch der Westen müsse sich um diese erste postsowjetische Generation Sorgen machen.

“Ein Kind, das von klein auf die ganze Überflüssigkeit und Sinnlosigkeit … des Systems erkennt, in den es durch den Willen des Schicksals geraten ist – so ein Kind hat keine schlechten Chancen…. Sorgen machen muss man sich eher um die, die sich nicht aus der Abhängigkeit der nächsten Bankfiliale befreien können, um die muss man sich wirklich Sorgen machen, denn aus ihren Reihen kommen die Serienmörder und die öffentlichen Politiker, freie Künstler gehen daraus nicht hervor.”

Ich glaube, dass wir heute wieder solche Kommunen brauchen wie damals, weil viele Menschen erst in solchen kreativen Gemeinschaften ihr Potenzial voll entfalten können. Wenn ich mit meiner Literatur die ersten 100.000 Dollar verdient habe, werde ich ein altes Pionierlager bei Charkiv kaufen und dort 200 Punks ansiedeln. Tagsüber werden sie nützliche Arbeit verrichten, zum Beispiel rote Rüben sammeln und abends werden sie “Sex Pistols” hören…