Die letzte Liebe des Präsidenten

Aus kleinen Verhältnissen stammend, kannte er vor der Wende bereits die richtigen Leute, die ihm später geholfen haben, ein erfolgreicher Geschäftsmann zu werden. Nur privat läßt ihn das Glück im Stich: Auch die teuersten Schweizer Ärzte können seiner Frau nicht helfen. Da beschließt Sergej Pawlowitsch, Politiker zu werden; die Zukunft seines Landes liegt ihm ehrlich am Herzen – und einsam ist er sowieso. Er arbeitet Tag und Nacht und wird schließlich Präsident. Doch im Parlament wimmelt es von Intrigen. Wem kann Sergej Pawlowitsch überhaupt noch vertrauen? Den Parteifreunden, die ihn um ein Haar vergiftet hätten? Vielleicht nicht einmal dem Arzt, der ihm ein fremdes Herz transplantiert hat… Doch da taucht eine unerfüllte Liebe aus früheren Zeiten wieder auf. ›Alte Liebe rostet nicht‹, spürt der Präsident – und das läßt ihn einen Neuanfang wagen.

Andrej Kurkow: “Die letzte Liebe des Präsidenten”. Roman. Diogenes Verlag, Zürich 2005, ISBN-10 3257064861, ISBN-13 9783257064865, Gebunden, 696 Seiten, 22,90 EUR

 

Rezension (Süddeutsche Zeitung / 12.01.2006)

Das ferngelenkte Herz

Andrej Kurkow blickt mit seinem Roman „Die letzte Liebe des Präsidenten“ in die russisch-ukrainische Zukunft

Lesen Sie folgende Fragen aufmerksam durch und antworten Sie spontan:
1. Halten Sie es für möglich, dass der ukrainische Präsident mit Armeeschmorfleisch vergiftet wurde?
2. Halten Sie es für möglich, dass Russland mit Hilfe eines ukrainischen Oligarchen versucht, den ukrainischen Präsidenten zu stürzen?
3. Halten Sie es für möglich, dass die russisch-orthodoxe Kirche Lenin heilig spricht, die ukrainische Kirche dies aber ablehnt?
4. Halten Sie es für möglich, dass das Herz des ukrainischen Präsidenten gar nicht sein eigenes ist, sondern das eines Fremden? Dass in das Spenderorgan außerdem ein Sender eingebaut ist, der der Opposition alle Gespräche des Präsidenten übermittelt?

Sie haben die meisten Fragen mit „Ja“ beantwortet, aber die Sache mit dem Herzen kommt Ihnen unglaubwürdig vor? Tja, das ist leider falsch, wenn auch nachvollziehbar. Die Ukraine gehört zu jenen Ländern, denen man so ziemlich alles zutraut, und das verdankt sie Autoren wie Andrej Kurkow, der – die Fragen beweisen es – in seinem Buch „Die letzte Liebe des Präsidenten“ den realen Irrsinn oft nur um Haaresbreite übertrifft, woraufhin die Wirklichkeit in der Regel – der jüngste Sturz des Parlaments über den Gaskompromiss beweist es – zügig aufschließt, was sich wiederum zu einem schwindelerregenden Effekt steigert, der fast schon ein Markenzeichen ist.

Der Russe Kurkow, der früher mal Gefängniswärter war, ist heute einer der bekanntesten Schriftsteller der Ukraine, aber es ist schwer zu sagen, ob das dem Land nützt oder schadet. Kurkow pflegt das katastrophale Image der Ukraine leidenschaftlich zu bedauern, aber in Büchern wie „Picknick auf dem Eis“ oder „Pinguine frieren nicht“ ist die Ukraine die allerschönste postsowjetische, präzivilisatorische Steppe, über die Mafiosi, korrupte Politiker und Normalkriminelle in großen Horden ziehen, um zu jagen und zu sammeln und sich gelegentlich den Schädel einzuschlagen. So auch in „Die letzte Liebe des Präsidenten“.

Erzählt wird das ereignisreiche, aber tragische Leben Sergej Pawlowitsch Bunins, eines überzeugten Antidemokraten, der es in der Perestroika zum Politiker und im Jahr 2011 zum Präsidenten bringt in jenem „wankelmütigen Land, das mal nach Westen, dann nach Osten schwankte“ und eigentlich unregierbar ist, also der Ukraine.

Dabei hat Bunin schon privat kein Glück. Seine Ehen halten nicht lange, seine Kinder kommen tot zur Welt, sein Bruder hat Anflüge von Schizophrenie und als Bunin ihm nicht länger den Aufenthalt in einem Schweizer Sanatorium bezahlen will, springt er mit seiner Frau von einer Klippe. Dann taucht eine Frau auf, die behauptet, er trage das Herz ihres verstorbenen Mannes, und die sich vertraglich hat zusichern lassen, dass sie immer in der Nähe des Herzens sein dürfe. Sie lebe im Präsidentenpalast hinter einer Trennwand, von dem oppositionellen Sender im Spenderherz sagt sie nichts.

Sergej Bunin ist ein einsamer Präsident, umgeben von einer Schar umtriebiger Hofschranzen wie dem unheimlichen Lwowitsch („Hat dir mal jemand gesagt, dass du aussiehst wie der junge Berija?“, Stalins Schlächter), die ihm irgendwann das erwähnte Schmorfleisch auftischen, oder dem Energieoligarchen Kasimir, der die Stromschulden dazu benutzt, den Staat in den Bankrott zu treiben und Bunin aus dem Amt zu putschen. Die Minister sind käuflich oder schon übergelaufen, jederzeit kann neues „kompromittierendes Material“ auftauchen, außerdem wurde die Führungsschicht aus Saporoschje entführt, Abgesandte des Vatikan tauchen in der Westukraine auf, um ein Wunder zu bewirken, und schließlich verschwindet auch noch Bunins Lieblingssofa. Es ist eine byzantinische Welt, in der der Whiskey vom Feinsten und die Betten weich sind, aber unter jedem Kopfkissen ein Dolch steckt. Und das sind nur die inneren Widerstände.

In Russland ist Wladimir Putin gerade wieder an die Macht zurückgekehrt, nimmt allmählich Romanow-Format an und würde in der Ukraine zu gern mal „richtig durchfegen“, um Bunin mit Hilfe Kasimirs gleich mit zu entsorgen. Viel besser ist Bunin allerdings auch nicht, wenn es hart auf hart kommt, lässt er gekaufte Wählerstimmen einfach zurückkaufen, aber eigentlich hat er keine andere Wahl. Natürlich hätte er gern die Renten erhöht, die Bergarbeiter-Löhne gezahlt, das Land glücklich und blühend gemacht. Aber, so flüstert ihm der teuflische Lwowitsch ein: „Reiches Land hieß arme Regierung. Eine arme Regierung, das hieß ein armer Präsident, billige Wageneskorte, schlechte Ausstattung der Präsidentenmaschine und letzten Endes Prestigeverlust unter den Amtskollegen und auf der politischen Weltkarte.“ Wer sein Land liebt, der beutet es aus, Machterhalt ist Schadensbegrenzung, schließlich könnte das nächste Regime noch schlimmer sein.

Am schönsten ist Kurkows Buch immer da, wo diese Orwellsche Logik besonders rein hervortritt. Dann spürt man, dass der frostige Zynismus nur notdürftig den Wunsch nach zivilen Verhältnissen kaschiert. Denn eigentlich ist Kurkow chronisch zuversichtlich: Ein Jahr nach der orangefarbenen Revolution gehört er zu den wenigen, die noch daran glauben, dass dieses Ereignis der Ukraine mehr gebracht hat als nur einen Platz in der Geschichte. Und diese Haltung ist für Kurkow, den Russen, der russisch schreibt und in der Ukraine zwischen allen Stühlen sitzt, erst recht bemerkenswert.

Manchmal kreuzen sich das Romangeschehen und die Nachrichtenlage, dann schlägt das Buch Funken: Wenn Russland sich beschwert, dass die „Ukraine mit ihrer ökonomischen und geografischen Situation Russlands Weg ins Vereinigte Europa“ behindere. Und wenn Kurkow die Indienstnahme des Energiesektors im Kräftemessen mit Russland vorausahnt, hätte man gern seine Quellen gewusst.

Kurkow stattet die Boudoirs der Macht mit diabolischer Liebe zum Detail aus, allein die Vierhundertjahrfeier der Romanow-Dynastie im Moskauer Eisbad ist ein Hochamt der Groteske, und doch ist die „Die letzte Liebe des Präsidenten“ keine ungetrübte Freude. Vielleicht schien Kurkow Bunins Lebensweg zu simpel, vielleicht schwebte ihm eine Art Epochenvergleich vor, jedenfalls zerteilt er die Geschichte in drei große Abschnitte – Ende der Achtziger, Anfang 2000 und 2014 – zwischen denen er von Kapitel zu Kapitel wechselt. Das liest sich gelegentlich so flüssig wie ein Vorwahlverzeichnis. Ohnehin verblassen die persönlichen Schicksalsschläge des Präsidenten gegenüber der sensationellen Verworfenheit des Regimes, und so ist es tröstlich, dass Sergej Bunin zwar am Ende sein Glück in der Liebe findet, aber Kurkow keinen Zweifel daran lässt: Zu einem besseren Präsidenten macht ihn das nicht.
SONJA ZEKRI