Ausstellungeröffnung „Umbruch Ost. Lebenswelten im Wandel“ in Kyjiw

Autorin: Liliia Hudziuk, Studentin an der Kyjiwer Nationalen Taras-Schewtschenko Universität

In diesem Oktober jährten sich die deutsche Wiedervereinigung und die ukrainische „Revolution auf Granit“ zum 30. Mal. Um diese zwei denkwürdigen historischen Ereignisse zu würdigen, organisierte das Deutsch-Ukrainische Forum im Zusammenarbeit mit der Staatlichen Iwan-Franko Universität Schytomyr eine Kreativwerkstatt, derer Ziel war, durch aufschlussreiche Vorträge, thematische Interviews mit Zeitzeugen, angeregte Diskussionen und kreatives Schreiben Teilnehmern die Bedeutung dieser historischen Ereignisse vor Augen zu führen und sie zum Nachdenken zu animieren. Die seit Juni laufenden Vorbereitungen gipfelten in der Ausstellungeröffnung „Umbruch Ost. Lebenswelten im Wandel“ , die am 6. Oktober an der Kiewer Nationalen Taras-Schewtschenko-Universität stattfand.

Die Ausstellung „Umbruch Ost. Lebenswelten im Wandel“ (herausgegeben von der deutschen Bundesstiftung für die Aufarbeitung der SED-Diktatur) gewährt aufschlussreiche Einblicke in das tägliche Leben der BRD- und DDR-Bürger vor und nach der deutschen Wiedervereinigung, die Schwierigkeiten, die der Einheitseuphorie folgten, und die Erfolge, die man im Laufe von 30 Jahren zu verbuchen vermochte. Im Vordergrund der Ausstellung stehen die von dem Historiker Dr. Stefan Wolle ausgewählten Fotos, die die Umbruchserfahrungen der Ostdeutschen aufs Genaueste veranschaulichen.

In Anwesenheit vieler Studierenden erinnerten sich die stellvertretende Leiterin des Referats für Kultur, Bildung und Minderheiten der deutschen Botschaft in Kyjiw Damaris Lorenz-Zurwehme, der Projektkoordinator und Leiter des Deutsch-Ukrainischen Forums in der Ukraine Jörg Drescher und die Leiterin des Lehrstuhls für Germanistik Prof. Maria Ivanytska eindrücklich an die Ereignisse, die schon 30 Jahre zurückliegen, derer Auswirkungen aber die Gegenwart Deutschlands und der Ukraine bis heute prägen. (Video)

Während der Ausstellungseröffnung hatten die Studierenden der Kiewer Nationalen Taras-Schewtschenko-Universität die Möglichkeit, sich das Interview mit dem ehemaligen Außenminister der DDR Markus Meckel anzuschauen, das dank Tetjana Suprun ins Ukrainische übersetzt wurde. Im Interview gab sich Markus Meckel seinen Erinnerungen hin und erzählte, wie die Wiedervereinigung Deutschlands zustande kam, welche Schwierigkeiten sie nach sich zog und welche Fehler dabei begangen wurden. Auch wenn der langwierige Prozess der tatsächlichen Wiedervereinigung Deutschlands nicht unbedingt reibungslos vonstattengegangen ist, sollte die Tatsache, dass Deutschland nach so vielen Jahren wiedervereinigt wurde, als Erfolg wahrgenommen werden, denn noch vor über 30 Jahren hätten sich die DDR-Bürger nicht zu träumen gewagt, dass sie jemals in einer Demokratie leben würden. Das ist im Grunde genommen die Kernaussage des Interviews mit Markus Meckel.

Für einen fruchtbaren und lehrereichen Gedankenaustausch sorgte auch der Vortrag des Historikers Dr. Oleksandr Iwanow, der von 1988 bis 1989 großes Glück hatte, ein Praktikum an der Universität Leipzig zu absolvieren und die Ereignisse in der damaligen DDR durch die Brille eines Ukrainers zu betrachten. Im Laufe dieser Zeit hat Dr. Oleksandr Iwanow viele Beobachtungen gemacht, die er in seinem spannenden Vortrag darlegte. Was seinen Worten zufolge sowohl Ukrainern, als auch DDR-Bürgern gemeinsam war, war die Unfreiheit, die sie um jeden Preis durchbrechen wollten. Doch während die Bürger der UdSSR schon 1986 mit der Liberalisierung unter Michail Gorbatschow die neu-gewonnenen Freiheiten ausleben konnten, standen die Bürger der DDR weiterhin unter dem wachsamen Auge des Staates, der es mit den bürgerlichen Freiheiten nicht so genau genommen hatte. Somit waren die Erfolge, die friedliche Demonstrationen erzielt hatten, beispiellos, insbesondere, wenn man sich vor Augen führt, unter welch ungünstigen Bedingungen sie erkämpft wurden.

Die Tatsache, dass der Liberalisierungsprozess in der USSR intensiver vorangetrieben wurde, sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Ukrainer, allen voran politisch engagierte ukrainische Studenten 1990 mit dem Entwicklungskurs der UdSSR unzufrieden waren. Dies zeigten die von den ukrainischen Studierenden organisierten Proteste, auch als „Revolution auf Granit“ bekannt, die ihren Anfang am 2. Oktober 1990, einen Tag vor der deutschen Wiedervereinigung, nahmen. Auch wenn die damalige Regierung nicht allen Forderungen der Studierenden nachkam, vermochten die Protestierenden vieles zu erreichen und damit auch den Weg zur Unabhängigkeit und den bürgerlichen Freiheiten zu ebnen, die wir heute als selbstverständlich ansehen. Die Ukraine kämpft aber immer noch, 30 Jahren nach der „Revolution auf Granit“, um ihre Unabhängigkeit, so Angelika Rudnitska, eine bekannte ukrainische Sängerin und Journalistin, die an der „Revolution auf Granit“ aktiv mitgewirkt hatte. Der größte Erfolg der studentischen Proteste 1990 sei, ihrer Meinung nach, die Tatsache, dass die Ukraine das schreckliche sowjetische Erbe nach und nach abschüttele und dass die Erinnerung an allgegenwärtige Verbote, Zensur und Warteschlangen zunehmend verblast. Mit ihrer Rede, die voller Erinnerungen und persönlicher Reflexionen war, bot sie viel Zuversicht und Orientierung für die jüngere Generation. Damit fand die Ausstellungseröffnung einen eindrucksvollen Ausklang.