Einladung in das Land der Orangenen Revolution

Mit „Ukraine. Einblicke in den neuen Osten Europas“ hat der Berliner Ch. Links Verlag einen informativen und unterhaltsamen Länderführer vorgestellt, der wunderbare Einblicke in das Alltagsleben und die wechselvolle Geschichte der Ukraine bietet.

Mit viel Humor und  persönlich gefärbten Episoden nimmt Timtschenko seine Leser mit auf die Reise. Unweigerlich kommt er auch auf den Namen der Ukraine zu sprechen, der sich von „okrajina“ herleitet, was „am Rande“ oder „Grenzland“ heißt und auf ihre Lage zwischen den Großreichen der österreichischen Habsburger, des russischen Zaren und der türkischen Osmanen hinweist. Nicht ohne Stolz erinnert der Autor daran, dass die Ukraine nicht nur Europas größte Demokratie ist, sondern sogar das geographische Zentrum des europäischen Kontinents in der Nähe der Karpaten liegt. Aber auch politisch zieht es die Ukrainer spätestens seit der „Orangenen Revolution“ in die Europäische Union. Im Gegenzug reisen seit der Aufhebung der Visumpflicht jährlich Hunderttausende Deutsche nach Kyiw (Kiew) und auf die Krim, nach Lviv (Lemberg) oder Odessa.

Obwohl die Hälfte der Ukrainer nach der Unabhängigkeit 1991 nur Russisch sprach, wurde allein das Ukrainische zur Amtssprache erklärt. Timtschenko versucht diese „Verbohrtheit“ der jungen Demokratie mit der jahrhunderte lange Moskauer Oberherrschaft und dem zeitweisem Verbot der ukrainischen Sprache  zu erklären. Und so erfährt der Leser, dass auch  manch bekannter Vertreter der russischen Literatur bspw. Nikolaj Gogol, Michail Bulgakow oder Anna Achmatowa in Wahrheit Ukrainer waren. Bis heute flammt der Sprachenstreit immer wieder auf, was auch an manch zynischen ukrainischen Witzen ablesbar ist, von denen Timtschenko einige in sein Buch eingestreut hat.

Humorvoll, nicht selten mit pechschwarzer Färbung, schildert der Autor zahlreiche Facetten der ukrainischen Gesellschaft. So berichtet er, wie wendehalsige Funktionäre und neue „Buisnesmeny“ nach der Unabhängigkeit durch die Privatisierung der alten Staatsfirmen und manche undurchsichtige Geschäfte zu Wohlstand und mächtigen Positionen kamen. Nach den „bewegten“ Anfangsjahren ist es heute ruhiger – aber dennoch ist Korruption noch immer kein Fremdwort –, aber man sollte die Multimillionäre besser nicht nach ihren Anfängen oder dem Woher der erste Million fragen, rät Timtschenko.

Manche Episoden der ukrainischen Geschichte sind jedoch so erschütternd, dass sie keine Ironie erlauben. Dazu gehören etwa fünf Millionen Hungertode der Jahre 1932/33, die einer gezielten Kampagne russischer Kommunisten zum Opfer fielen. Heute spricht man in Kiew vom organisierten Völkermord, einem ukrainischen Holocaust (Holodomor), was von Moskau natürlich scharf kritisiert wird. Timtschenko verschweigt auch nicht eines der finstersten Kapitel deutscher Geschichte: die ersten Massenerschießungen zehntausender Juden in der Schlucht Babyn Jar am Kiewer Stadtrand. Auch die Rolle der ukrainischen SS-Division „Galizien“ und der Untergrundarmee UPA bieten bis heute Konfliktpotenzial.

Dass auch bedeutende Erfindungen in der Ukraine ihren Anfang nahmen, ist kaum bekannt. Auf unterhaltsame Art beschreibt der Autor, wie der ukrainische Physiker Iwan Puluj Vakuumröhren baute, mit denen er 14 Jahre vor Conrad Röntgen die X-Strahlen (Röntgenstrahlen) entdeckte. Auch die ersten Impfungen gegen die Pest sind einem ukrainischen Forscher zu verdanken: Danylo Samojlowitsch. Selbst in der Luft- und Raumfahrttechnik gehören Ukrainer zu den gefeierten Pionieren, so Jurij Kondratjuk, der 1929 ein Grundlagenwerk veröffentlichte, was die Hauptlektüre der NASA vor dem Mondflug von „Apollo 11“ gewesen sein soll. Und amerikanische Sikorsky- Hubschrauber gehen auf den gleichnamigen ukrainischen Tüftler zurück.

Timtschenko versteht, neugierig zu machen auf die Ukraine und ihre Menschen, ohne die Kritik an der jungen Demokratie auszublenden. Der Leser wird sachkundig und unterhaltsam durch das Heimatland des Autors geführt. Das Ganze ist gewürzt mit persönlichen Erlebnissen, Anekdoten und schmackhaften Rezepten. Dabei lüftet Timtschenko auch manch Geheimnis, bspw. die Bedeutung des Specks für die ukrainische Demokratie.

Viktor Timtschenko
„Ukraine. Einblicke in den neuen Osten Europas“
Christoph Links Verlag / Berlin
2009 – kartoniert – 223 Seiten
16,90 Euro
ISBN: 3861534886

Witali Tokarew / Thomas Nawrath